Freitag, 1. Februar 2013


Wir freuen uns, Ihnen ab diesem Monat bereits jeweils eine kleine Vorabveröffentlichung des Buchs “Autism and the Seeds of Change” von Abigail Marshall und Ron Davis in deutscher Übersetzung zur Verfügung stellen zu können. Die englische Ausgabe hatten wir im Oktober 2012 angekündigt und die deutsche folgt voraussichtlich schon im Mai.

Um die Wartezeit bis dahin ein wenig zu verkürzen, lesen Sie hier und in den nächsten Monaten jeweils einen Auszug aus dem letzten Kapitel des Buches, das einen Überblick und anschauliche Fallgeschichten beschreibt. Wir sind gespannt auf Ihr Interesse!

Ihr Davis-Team 


Die anderen Teile des 12. Kapitels finden Sie unter folgenden Links: Davis-Buch Autismus – Teil 2, Teil 3 und Teil 4.

Vorabveröffentlichung – Kapitel 12 / 1.Teil

Ausblick 

Ein wesentliches Merkmal von Autismus sind die inneren Einschränkungen einer Person, die einem angemessenen, sozialen Verhalten im Weg stehen. Der Davis®-Autismus-Ansatz stellt eine neuartige Vorgehensweise zur Verfügung, mit der man diese Einschränkungen unmittelbar bearbeiten kann. Das Programm lässt sich auf die Erfahrungen und Ideen eines erfolgreichen Erwachsenen zurückführen, der aufgrund seiner eigenen Kindheitsgeschichte als Autist tief verwurzelten Respekt und Verständnis für die autistische Perspektive mitbringt. Der Ansatz wurde über viele Jahre hinweg mit Hilfe gemeinschaftlicher praktischer Erfahrungen weiterentwickelt und präzisiert.

Das gesetzte Ziel des Programms – autistische Menschen zu befähigen, „vollständig am Leben teilzunehmen“ – wird am besten durch die tatsächlichen Erfahrungen autistischer Menschen, ihrer Familienangehörigen und der Berater, die sie anleiteten, illustriert.

Der Davis-Unterschied

In diesem Programm habe ich mit Knete gearbeitet, um Begriffe wie ‚ich‘, ‚Zeit‘, ‚Ordnung‘, ‚Reihenfolge‘ und, das war für mich am wichtigsten, ‚Beziehung‘ zu verinnerlichen und gründlich zu verstehen. Mein Berater hat mir auch beigebracht, wie ich bewusst loslassen und entspannen und mich mental in dieser Welt verankern kann, so dass ich mich selbst davon abhalten kann zu desorientieren oder tagzuträumen. Ich habe auch gelernt, meine Angstattacken und Wutanfälle zu erkennen und zu kontrollieren. Wenn ich merke, dass sie kommen, kann ich mich dafür entscheiden, meine Gedanken zu ändern und loszulassen, und es ist, als hätte mich nie etwas geplagt! Ich weiß jetzt, wie ich sichere Grenzen gegenüber Menschen ziehen kann, so dass mich ihre Emotionen nicht überwältigen oder ich mich ausnutzen lasse. Ich kann meine Gefühle auf eine Art und Weise mündlich ausdrücken, wie ich es zuvor nicht konnte. Mit großen Menschenmengen umzugehen ist immer noch anstrengend, aber es ist nicht mehr furchterregend und erdrückend, so wie früher.“(1)

Der Davis-Autismus-Ansatz ist ein völlig neuartiger Ansatz, der autistische Menschen befähigt und stärkt. Das Programm kann zu tiefgreifenden Veränderungen in der praktischen Fähigkeit führen, die sich in veränderten Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen, die weit jenseits der Erwartungen anderer Programme liegen. Gleichzeitig vermeidet das Programm direkte Bestrebungen, das Verhalten zu verändern, zu beeinflussen oder zu erzwingen und basiert nicht auf dem Versuch, dem autistischen Klienten beizubringen, er solle denken oder handeln, als sei er nicht autistisch. Viele hochfunktionale Autisten sind berechtigterweise skeptisch und widerständig gegenüber den Versuchen anderer, ihre Art zu denken oder fühlen zu verändern. Die Veränderungen, die mit einem Davis®-Programm eintreten, passieren auf natürliche Weise, als Ergebnis des Lernprozesses und der Entwicklung neuer Fertigkeiten und Einsichten. Davis liefert einen Zugang zu besserem Selbst-Verständnis und sozialer Bindung, während gleichzeitig die Integrität der Person gewahrt bleibt.

Einige Schlüsselelemente, die das Davis-Programm von anderen unterscheiden:

1. Der autistische Ursprung

Aufgrund des frühkindlichen Autismus von Ron Davis resultieren seine Ideen aus seinen eigenen autistischen Erfahrungen und seinem autistischen Denken. Davis ist sich darüber im Klaren, dass seine Erfahrungen einmalig sind. Keine zwei Autisten gleichen sich und es ist unmöglich, von einem auf den anderen zu schließen. Doch Davis Vorgeschichte hat ihn sensibel gemacht und führte zum Verständnis der Auswirkungen, die die Erfahrungen des Autismus auf das Verhalten haben.

Davis weiß zum Beispiel, dass viele vorherrschende Überzeugungen hinsichtlich Autismus falsch sind. Es wird beispielsweise gemeinhin behauptet, dass Autismus mit fehlender Empathie einhergeht. Aber autistische Erfahrungen beinhalten oft extreme Sensibilität und Reaktionsfähigkeit gegenüber den Emotionen und Gefühlen anderer. Vermeidungsverhaltensweisen, wie etwa sich von anderen zurückzuziehen oder Berührungen oder Augenkontakt zu vermeiden, sind keine Zeichen der Gleichgültigkeit, sondern vielmehr ein Hinweis, dass der Autist sich überwältigt fühlt.(2)
   
Ebenso weiß Davis aus eigener Erfahrung, dass es für einen erfolgreichen Lernprozess des Autisten nicht erforderlich ist, das Verhalten neurotypischer Personen zu imitieren oder seine Art zu denken zu verändern. Autisten können mit einer Methode lernen und Fortschritte machen, die ihren kognitiven Stärken Rechnung trägt. Ihr Verhalten wird sich verändern, wenn die Ursache für dieses Verhalten verschwindet. 

2. Aus der Praxis entwickelt

Wenngleich erst im Jahr 2008 eine vereinheitlichte Struktur für den Davis-Autismus-Ansatz festgelegt wurde, so werden die spezielle Methodik und die Werkzeuge schon seit den frühen 1980ern benutzt. Nach dem heutigen Stand der Dinge repräsentiert das strukturierte Programm sowohl die miteinander geteilten Ansichten von einem Dutzend Personen, die umfangreiche Erfahrungen in der Arbeit mit den Davis®-Techniken, mit Kindern und Erwachsenen jeden Alters, in vielen Sprachen und Ländern haben, als auch die anhaltenden Beiträge vieler anderer, die in der Methode ausgebildet wurden und aktiv mit autistischen Klienten arbeiten.


Als Davis das Programm entwickelt hat, ging es ihm natürlicherweise darum, Worte und Begriffe aus Knete zu modellieren, denn dieser Ansatz hatte ihm persönlich geholfen – die Knettechniken wurden jedoch deshalb beibehalten und präzisiert, weil sie funktionieren, nicht weil Davis sie sich ausgedacht hat. Einige Elemente des Programms wurden entwickelt, um genau die Probleme zu lösen, die unterwegs auftauchten. So wurde zum Beispiel das Ausrichtungsverfahren entwickelt, als sich zeigte, dass einige Personen nicht in der Lage waren, den Visualisierungsanleitungen des Davis®-Orientierungsverfahrens zu folgen. Die Praxis, ein Knetmodell für „Selbst“ in alle Begriffsbeherrschungs-Modelle einzufügen, begann mit einem kleinen Jungen, der bei der Knetarbeit mit dem Begriff „Konsequenz“ zunächst keine Fortschritte machte, bis er sich schließlich selbst in das Knetmodell mit einbezog.

3. Unterstützende Werkzeuge für Orientierung, Gleichgewicht und Stressabbau

Das Davis-Programm beginnt mit der gezielten Arbeit daran, einer Person zu ermöglichen, Wahrnehmungen in Einklang zu bringen, den Aufmerksamkeitsfokus zu kontrollieren und aufrechtzuerhalten, Stress abzubauen und das Energieniveau zu steuern, sowie mit einer einfachen Trainingsübung mit Koosh-Bällen, die darauf abzielt, Gleichgewicht und Koordination zu verbessern. Die Davis-Techniken des Orientierungstrainings sind einzigartig, aber ihr Mechanismus hat Ähnlichkeiten mit Neurofeedback: durch mentales Training erreicht eine Person die verbesserte Fähigkeit, ihren mentalen Zustand und ihre Aufmerksamkeit zu steuern.(3) Weil allerdings die meisten Davis-Orientierungswerkzeuge auf kurzen, einfachen, direkten Anweisungen beruhen, bei dem die Person ihre eigenen körperlichen Empfindungen als Rückmeldung zu benutzen lernt, können die Davis-Techniken generell sehr schnell vermittelt und erlernt werden. Die aufgenommenen Tonsequenzen für die auditive Orientierung können auf gängigen tragbaren Wiedergabegeräten abgespielt werden. Es ist keine spezielle Ausrüstung nötig.(4) Alle Davis-Werkzeuge können regelmäßig sowohl zuhause als auch mit einem Berater geübt und intensiviert werden.

...Fortsetzung folgt im nächsten Monat.
 
Auszug aus der Übersetzung des Buches: “Autism and the Seeds of Change” von Abigail Marshall mit Ronald D. Davis, Übersetzung: Dr. Andrea Paluch, erscheint voraussichtlich Mai 2013.


Im deutschsprachigen Raum und Luxembourg gibt es inzwischen 8 ausgebildete Davis®-Autismus-Berater/innen, die Sie ebenfalls bei den Davis-Berater-Adressen finden, oder aber per Email erfragen können: info@dyslexia.de.





(1) In einer Facebook-Gruppe gepostet am 1. August 2009, URL: https://www.facebook.com/groups/6567263146/ (Stand: 26. Februar 2012).

(2) Der Theoretiker [Adam Smith] unterscheidet zwischen „kognitiver“ und „emotionaler“ Empathie. „Kognitive Empathie“ ist die Fähigkeit, das Verhalten eines anderen zu verstehen und vorherzusagen und entspricht der „Theory of Mind“. „Emotionale Empathie“ ist die emotionale Reaktion einer Person, die von dem emotionalen Zustand einer anderen ausgelöst wird und dieser entspricht. Ausgehend von den autobiographischen Berichten vieler autistischer Erwachsener als auch von Verhaltensbeobachtungen autistischer Kinder, gibt es starke Anzeichen dafür, dass Autisten gemeinhin eine Übersättigung emotionaler Empathie erfahren, was zu Angstgefühlen, Unbehagen und Verwirrung führt. Vgl. Smith (2009). Siehe auch: Die „intensive Welt“ Autismus-Theorie, in: Markram und Markram (2010).

(3) Es hat sich gezeigt, dass Neurofeedback-Übungen das ausführende Funktionieren und soziale Verhalten unter autistischen Kindern verbessert. Vgl. Kouijzer, van Schie, et al. (2010) und Kouijzer, de Moor, et al. (2009).

(4) Im Gegensatz dazu erfordert Neurofeedback normalerweise viele Stunden Übung durch Ausprobieren mit einer Computerschnittstelle. Zum Beispiel haben Studenten in einer Forschungsstudie zweimal die Woche insgesamt 40 halbstündige Sitzungen gehabt. Weil die Übung von einer Maschine abhängig war, gab es keine Möglichkeit, zwischen den Sitzungen weiter zu üben oder zu vertiefen. Vgl. Kouijzer, de Moor, et al. (2009).


1 Kommentar:

  1. Meine ersten Schlüsselerlebnisse hatte ich bei meiner Begegnung mit autistisch genannten Kindern in der Münchner Heckscher Klinik im Praktikum für meine Ausbildung zum Sonderschullehrer.
    Ich wollte konkret erleben, was passiert, wenn ich nicht an Autismus glaube.
    Wer mag, kann den bericht dazu in der ZHeilpäd. oder in der "neuen Ich-kann-Schule" nachlesen. Der"Autismus" schmolz wie Schnee in der Sonne. Die Kinder machten mit mir so ziemlich das Gegenteil dessen, was sich für einen Autisten gehört.
    Ihr Lehrer gestand mir, wie sehr ihn seine Arbeit ausbrenne. Er meinte: "Es sind halt Autisten." Wenn ich das mit Kindern machen würde, was er jeden Tag mit diesen Kindern gemacht hat, wäre ich auch erschöpft. "Gib mir das Fa, Julian, gib mir das Fo!"das ist ja zum Davonlaufen!!!
    Seit diesem Tag weiß ich, dass das meiden von Blickkontakt kein Krankheitszeichen ist sondern ein sehr kluger unbewusster Selbstschutz. Oder würdest du freiwillig in Augen schauen, aus denen dir immer wieder eine Lawine "Es sind halt Autisten!" entgegenknallt???
    Ich hab mit dem Mädchen den ganzen Vormittag geflirtet und es hat uns immer intensiver zueinander gezogen. Und ein Junge hat sich in der Pause an mich drangehängt, mir einen Schmatz auf die Brust gegeben und gedrückt, dass die Rippen krachten. Ich bin hoch ENERGIE-GELADEN aus dieser Begegnung herausgegangen.
    Solche Erlebnisse wünsche ich jedem.
    Franz Josef Neffe

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