I. Innere Motivation
Ob ich mit allen meinen Sinnen Fußball spiele, in
meinem Computer-Spiel ein begeisterter Formel-1-Fahrer bin, höchst interessiert
und mit voller Aufmerksamkeit einem begabten Redner zuhöre oder mit
unaufhaltsamer Neugier in einem faszinierenden Buch wohlig und wach vertieft
bin; in allen diesen Fällen ist mein Zustand oder lebendiges Bewusstsein im
Grunde identisch. Solange es andauert, erfüllt es mich, ich habe dabei
Riesen-Spaß, bin völlig absorbiert in dem Geschehen selbst - viel mehr, ich bin
das Geschehen -, gehe in der jeweiligen Aktivität auf, vergesse die ganze Welt
um mich herum, ich bin nicht in der Zeit... In der psychologischen Forschung
kennzeichnet man diesen Zustand als erhöhtes Bewusstsein, Flow oder intrinsische
Motivation. Bei der intrinsischen oder inneren Motivation ist die ausübende
Tätigkeit selbst die Antriebskraft, die mich zur dieser Tätigkeit motiviert oder
bewegt. Nicht intrinsisch wäre die Motivation bei einer Tätigkeit oder
Handlung, die nur ein Mittel zu einem Zweck ist, der wiederum die eigentliche
Antriebskraft auslöst. Wenn ich zum Beispiel ein spannendes Buch lese, weil ich
allein durchs Lesen selbst Spaß habe, dann ist dieses Lesen eine
intrinsisch-motivierte Tätigkeit. Wenn ich aber ein Buch, was mir nicht Spaß
macht, lesen muss, weil es zum Inhalt eines Studiengangs gehört, den ich
unbedingt absolvieren will, dann ist das Lesen dieses Buches keine
intrinsisch-motivierte Tätigkeit.
Es ist tatsächlich so, wenn wir in unserer Vergangenheit Ausschau halten oder uns und andere im Alltag beobachten, dass wir (1) leichter und effektiver die Dinge in unserem Gedächtnis behalten, die Neugier und Interesse in uns erwecken und daher unsere Aufmerksamkeit auf sich ausrichten – auch negative Erfahrungen prägen sich in unserem Gedächtnis um so stärker ein, je persönlicher sie uns angehen – und (2) die Sachen wirklich lernen, d.h. uns aneignen und meistern, die wir durch direkte Erfahrung in unserem Dasein erleben, zu spüren bekommen, vielmehr: eins mit ihnen werden! Je größer der Spaß und die Erfüllung bei einer Erfahrung, desto vollständiger werden wir diese Erfahrung, desto tiefer vervollständigt und verwirklicht sie uns.
II. Der motivierende Umstand
Ich habe keine Ahnung, warum menschliche Wesen
ununterbrochen Erfüllung anstreben; ich weiß durch meinen fühlend erfahrenden
Körper und Geist nur, dass dies der Fall ist. Sehr transparent und offenbar
kann dies bei kleinen Kindern beobachtet werden. Kinder "müssen" oder
wollen, um willentlich aktiv zu werden, intrinsisch motiviert sein, sonst hat
es keinen Zweck. Sie wollen nur glücklich sein oder gar nichts! Natürlich wollen
nicht allein Kinder immer glücklich sein; es ist nur so, dass dieses
Grundbedürfnis bei Erwachsenen nicht ohne weiteres so spontan, direkt und
unverfälscht ersichtlich ist, wie bei Kindern.
Nehmen wir nun das Grundbedürfnis, erfüllende Tätigkeiten auszuüben und angenehme Zustände zu erleben, als gegeben und betrachten das intrinsische Motiviert-Sein als die günstigste Befindlichkeit und Verfassung fürs Lernen; die Frage, die sich dann hierbei all denjenigen zeigt, die das Lernen fördern wollen, ist: wie schaffen wir die Umstände und welche Umstände sind es, in denen sich Lernende intrinsisch motiviert fühlen? Aus meiner bisherigen Erfahrung würde ich diese Frage wie folgt beantworten: Die Umstände oder der Umstand, der mich zum intrinsisch-motivierten Lernen antreibt, ist die erziehende Umwelt, die mich die Aufrechterhaltung und beständige Kultivierung meiner innewohnenden Neugier und der Wurzel meiner seelisch-geistigen Energie, d.h. meines Selbstwertgefühls lehrt. Neugier und Selbstwertgefühl, in ihrer Bedeutung und inneren Struktur, sowie ihr Verhältnis zu Motivation und Lernen sind die Aspekte, die ich hier näher beleuchten möchte.
III. Anatomie der Neugier
Schon von ihrer Definition her, nämlich als der
packende Wunsch, etwas Neues zu erleben oder zu wissen, ist Neugier
eine bedingungslose Spenderin motivierender, d.h. antreibender
Handlungsenergie. Ist jemand auf etwas neugierig, so erfolgen seine darauf
zielgerichteten Handlungen höchst aufmerksam, kraftvoll und fließend zugleich,
sein Handeln wird schlichtweg von seiner Neugier angetrieben. Wenn wir uns
demnach wünschen, dass jemand Interesse entwickelt und intrinsisch motiviert
wird, etwas Bestimmtes herauszufinden, zu durchschauen, zu lernen, dann wäre es
schon die volle Miete, wenn wir ihn darauf neugierig machen könnten.
Sicherlich klingt so eine Entstehungsgeschichte der Neugier auf nur ein bestimmtes Buch ziemlich komplex; doch was wir hier festhalten können ist: auf der Suche nach den Entstehungsquellen der Neugier auf etwas bestimmtes sind genetische Struktur, Umwelt, Erziehung und die Summe der individuellen Erfahrungen zu berücksichtigende Faktoren. Es sind die Faktoren, die jeweils die Individualität einer bestimmten Person ausmachen.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Der kleine Fabian wird total überrascht, als bei einem Zaubertrick, den sein bester Freund Daniel allen Mitschülern während einer Pause in der Schule vorführt, eine dicke Münze völlig unerklärlich verschwindet! Er muss leider gleich wieder zum Unterricht , was er dann auch tut. Doch er ist gar nicht präsent! Er denkt nur noch an die Münze und den Unterrichtsschluss... "Wo kann denn die Münze sein?", "Wie hat der Daniel das nur gemacht?", "Ich will’s unbedingt wissen!" usw. Fabian’s Gedanken kreisen nur noch um die verschwundene Münze, er kann seine Neugier, wie so etwas funktioniert, nicht unter Kontrolle halten.
In diesem Fall wird nicht nur die bestimmte Person Fabian neugierig. Ein Zaubertrick ist etwas, das mehr oder weniger allgemein neugierig macht, und zwar, weil wir keine unmittelbare Erklärung dafür haben, weil es uns (unseren Geist) überrascht und weil es so attraktiv erscheint; "zauberhaft" eben! Ist das nicht so, dass wir für alles, was unsere Aufmerksamkeit anzieht und nicht nachvollziehbar ist, sehr sehr gerne eine Erklärung haben oder es vielmehr erfahren wollen?
Hier hätten wir also Attraktivität oder Anziehungskraft gepaart mit Unerklärlichkeit als Entstehungsbedingungen von Neugier auf etwas. Diese Bedingungen sind allgemeiner Natur und gehen daher über die jeweilige persönliche Individualität hinaus.
Fassen wir zusammen:
(a) Individualität, die durch genetischen
Ursprung, Umwelt, Erziehung und die individuellen Erfahrungen zustande kommt,
(b) Attraktivität und Unerklärlichkeit als
gleichzeitig auftretende Eigenschaften von etwas und
(c) die desillusionierende Relativität von Selbstverständlichkeiten sind die drei wichtigsten oder stärksten Entstehungsbedingungen von Neugier.
Man könnte vielleicht noch einen vierten Fall
betrachten: wenn nämlich bei jemandem dadurch Neugier auf X entsteht,
dass man ihm verbietet, dieses X zu sehen, zu haben oder zu erleben, oder es
vor ihm demonstrativ versteckt; wenn wir aber diese "Maßnahme" als
Mechanismus betrachten, mit dem wir die Anziehungskraft von X steigern, dann fällt
diese Variante unter Entstehungsbedingung (b).
Sobald wir diese Wurzeln der Neugier in ihrer Substanz und inneren Mechanik verstehen, kann es nur noch darum gehen, sie zu berücksichtigen, zu fördern und zu kultivieren, so dass sie aufblühen und ständig wachsen. Ist dies der Fall, dann wird Neugier zu den Eigenschaften transformiert, die die Motivation zum Lernen ausmachen: Wissens- und Entdeckungsdrang, Informationsbedürfnis und schöpferisches Tun.
IV. Selbstwert und Erfüllung
Unsere Innerlichkeit – und insbesondere das, was uns psychisch ausmacht – ist
von ihrer Natur aus sehr plastisch und wandlungsfähig. Sie nimmt je nach
Umstand, Situation und Beziehungs- oder Interaktionsart unterschiedliche Formen
und Inhalte an: die sogenannten Gefühle oder Emotionen.
Es gibt positive und negative Emotionen. Die Ursachen oder Entstehungsbedingungen einer bestimmten Emotion sind sehr vielfältig und komplex. Sie können ernährungs- oder klimabedingt sein, von einer Situation oder Erfahrung abhängig, durch bestimmte Personen und deren Stellenwert oder Funktion ausgelöst... Eine Kombination all dieser Faktoren und noch viel mehr kann zu bestimmten Emotionen führen.
Emotionen beflügeln oder deprimieren uns; sie treiben uns an oder ängstigen und paralysieren uns; sie erfüllen oder sie entleeren uns...Wenn wir dieses Wechselspiel durch Selbstwahrnehmung beobachten und analysieren, werden wir untrüglich erkennen oder herausfinden, dass der Selbstwert in der Palette der Eigenschaften, die unsere psychische Beschaffenheit und Gesundheit steuern und bestimmen, einen besonderen – wenn nicht den zentralen - Platz einnimmt. Nach seiner Definition, nämlich als das Gefühl, wertvoll zu sein oder nicht, ist der Selbstwert oder das Selbstwertgefühl der Standard, nach dem wir unsere psychische Stärke und Erfüllung messen. Er ist ein Himmel, der, je nachdem, ob er bewölkt oder sonnig "und" sternenklar ist, unser Gemüt in seinem Kern hin und her verwandelt.
Sicherlich gibt es andere Weisen und Wege, mit denen wir versuchen können, uns selbst Mut zu machen, uns selbst zu bestätigen und aufzuwerten, uns aufzubauen, um unseren Weg im Leben/Alltag freudig und energiegeladen weiterzugehen. Aber wir alle kennen doch die emotionale/seelische Hochstimmung, die wohlig stärkende Energie, die uns übergießt und vollständig erfüllt, wenn jemand, von unseren Handlungen oder Fähigkeiten beeindruckt, uns mit seinem Lob darin bestätigt. Unser Selbstwertgefühl wird dadurch enorm gesteigert. Die Botschaft lautet: Wir sind wertvoll! Wir werden anerkannt, angenommen, gemocht. Wir sind nützlich in unserer Welt! Diese Art von Energie, die wir von anderen Menschen durch Zustimmung, Lob und Anerkennung bekommen, ist unseren persönlichen und einsamen Versuchen weit überlegen.
Wir Menschen sind keine emotional autarke Wesen wie die selbst-leuchtenden Sterne oder Sonnen. Mindestens nicht ganz... Wir sind in der einen oder anderen Weise auf andere Menschen "angewiesen". In unserem Tun und Handeln, Fühlen und Erleben entfalten wir unsere einzigartigen Potentiale und Persönlichkeiten in der sozialen Interaktion mit anderen; ob in der unmittelbaren Lebenswelt der Familie und den sonstigen engeren Beziehungen, in einer Gruppe (Schule, Arbeitsplatz etc.) oder in den unübersichtlicheren und globaleren gesellschaftlichen Strukturen. Aufgrund dieser Tatsache sollten wir als Erziehende – ob wir für die Erziehung von jemandem gänzlich zuständig sind oder nur zum Teil mitwirken – die Bedeutung und den Stellenwert des Selbstwertgefühls in unseren Bemühungen, Strategien und wohlwollenden Absichten entsprechend berücksichtigen, wenn nicht als weisen Kompass und den Wegweiser schlechthin benutzen!
Es gibt sicherlich keine genaue Anleitung, wie man mit dem Selbstwertgefühl von jemandem - bei dessen Erziehung oder auch generell - umgehen soll. Doch wenn ich wichtige Voraussetzungen für den Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls angeben sollte, wären das folgende drei:
Wir müssen
(a) die betroffene Person in ihren Fähigkeiten,
Vorlieben, Tendenzen, Interessen und Charakterzügen sehr gut kennen. Erst dann
sind wir in der Lage, die Umstände zu ermöglichen, in denen sie in der
aktiven Rolle Erfahrungen und Erlebnissen begegnet, die die
Anwendung und die darauffolgende Entfaltung der tatsächlich angelegten
Potentiale zum Vorschein bringen. Mit anderen Worten, das eigene Können
muss bewusst werden. Dieses Bewusstsein sollte dann
(b) dadurch bestätigt und gefestigt werden, dass wir diese Erkenntnis mit unserem Verhalten widerspiegeln, indem wir die bestimmten Fähigkeiten dieser Person anerkennen und wertschätzen. Als nächstes
(c) sollten wir dafür sorgen, dass ihr
Selbstwertgefühl aufrechterhalten bleibt trotz oder auch angesichts des
fortwährenden Wachstums und der ständig neuen zu bewältigenden Aufgaben und
Lektionen, die das Leben von einem fordert. Denn nur ein stetig starkes
Selbstwertgefühl nährt die Motivation zum Handeln, Arbeiten und Lernen.
Es macht Spaß und es erfüllt einen, durch Freude
zu wachsen. Und damit diese Freude lebendig bleiben kann, müssen wir immer auf
das Gleichgewicht zwischen der Stufe oder Schwierigkeit einer Aufgabe und der
Kompetenz-Stufe einer Person achten; jede neue Aufgabe, muss immer nur etwas
schwieriger als das jeweils gegenwärtige Kompetenzniveau, damit die Aufgabe
eine interessante und deshalb antreibende Herausforderung sein kann,
aber nicht so schwer, dass die Kompetenzen überfordert werden, was
zur Frustration und daher Stagnation führt, weil das Selbstwertgefühl
erheblich geschwächt wird.
V. Plädoyer
Sicherlich entsteht nach meinen obigen Ausführungen
die Frage: "Wenn dies wirklich der Zusammenhang zwischen innerer
Motivation, Neugier und Selbstwertgefühl ist; wie macht man das?" Ich
könnte dazu meine persönliche Meinung anbieten, doch halte ich es für
wichtiger, dass hier jeder seine eigene Kreativität herausfordert und einsetzt,
weil es sowieso ein individuell unterschiedlicher Prozess ist. Und genau zu
einer Anregung dazu wollte ich mit meinem vorliegenden Analyse-Versuch
beitragen.
Auf der anderen Seite bedarf es natürlich, um solche Prozesse genau und erfolgreich zu führen, eines sehr scharfen Blicks und eines psychologisch geschult-geschickten Umgangs mit Menschen. Qualitäten also, die man sich entweder durch genaues Verstehen und ausreichende Erfahrung oder durch eine spezielle Ausbildung aneignet. Und genau dies, nämlich eine genaue Ausbildung - vor allem von Lehrern, aber generell auch für jeden Erziehenden – zur psychologisch erfolgreichen Förderung von Lernenden ist im vorhandenen Bildungssystem eine auszufüllende Lücke. Ich stelle diese Lücke in unserer Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen – in einem besonderen Maße mit Eltern von Betroffenen – zwar immer wieder mit Bedauern fest; doch die Anzeichen einer gesellschaftlich allgemeinen Erkenntnis und eines weit reiferen Bewusstseins davon, wie notwendig eine entsprechende Veränderung ist, mehren sich in einem vielversprechenden Tempo!
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