Donnerstag, 6. Juni 2013



Hier nun der vierte und abschließende Teil aus dem letzten Kapitel der Vorabveröffentlichung des Buches “Autism and the Seeds of Change” von Abigail Marshall und Ron Davis in deutscher Übersetzung. Dieser Teil bietet Fallgeschichten und einen abschließenden Teil zu der neuen Welt von Möglichkeiten, die diese Methode erlaubt. Die ersten Auszüge des Buches sind in den letzten Monaten erschienen. Die betreffenden Artikel finden Sie unter folgenden Links: Davis-Buch Autismus – 1. Teil2. Teil und 3. Teil. 


Die deutsche Übersetzung ist fertig und geht in den Druck. Wir freuen uns sehr!

Zu einem einmaligen Subscriptionspreis von €16,00 anstelle von €19,80 haben Sie die Möglichkeit, das Buch bis einschließlich 24. Juni 2013 bei uns vorzubestellen. Sie erhalten dann gleich nach Fertigstellung ein oder mehrere druckfrische Exemplare von uns.

Ihre Bestellungen bitte per Email senden an: info@dyslexia.de
Ihr Davis-Team


 Vorabveröffentlichung – Kapitel 12 / 4. Teil

Fallbeispiel: Reflexionen über drei Phasen des Programms

Davis-Beraterin Cathy Dodge Smith erinnert sich an Erfahrungen mit einigen ihrer Klienten und bezieht diese auf die unterschiedlichen Phasen des Davis-Programms. 

In der Programmphase der Individuation kann ich manchmal schon die reale Person hinter der Maske oder dem Nebel des Autismus erahnen, und zwar während kurzer Phasen desjenigen Zustandes, den wir ‚Orientiert-Sein‘ nennen, und den die meisten Leute wohl als 'Total-präsent-sein' bezeichnen würden. Am Anfang sind solche Momente kurz und flüchtig. Man muss sehr aufmerksam sein, um sie zu bemerken und darauf zu reagieren.

Ich hatte einen kleinen Siebenjährigen in meinem Büro, der nicht sehr interessiert daran war, was ich auf der Tagesordnung hatte. Über eine Stunde lang wanderte er herum, redete ununterbrochen, fasste Sachen an und bewegte sich hauptsächlich in seiner eigenen Welt. Auch wenn er mich von Zeit zu Zeit ansprach oder mich bisweilen etwas fragte, so war er doch nicht an meinen Antworten interessiert, wartete noch nicht einmal meine Erwiderung ab. Schließlich hörte er mitten drin auf, kam zu meinem kleinen Tisch, wo ich auf ihn wartete, sah mir in die Augen und sagte deutlich: „Okay. Was sollen wir machen?“ Ich sagte ihm, was ich von ihm wollte, und er setzte sich hin und machte es. Er war für etwa fünf Minuten total bei mir, dann stand er auf und war wieder „weg“.

Wenn die Individuation stabiler wird, dehnen sich die flüchtigen Momente der Orientierung aus und die Zeit, die man „weg“ ist, verringert sich allmählich. Das mache nicht ich; es passiert einfach, wenn der Klient sich im orientierten Zustand zunehmend wohler fühlt und er weiß, wie man freiwillig dorthin kommt.

Die nächste Phase des Programms, Identitätsentwicklung, erlaubt es der Person, vergleichsweise zügig die normalen Entwicklungsschritte zu durchlaufen, die sie teilweise oder ganz ausgelassen hat, weil sie in der realen Welt nicht völlig präsent war. Während wir die Begriffe gemeinsam entdecken, wird dem Klienten die reale Welt nach und nach vertrauter.

Ich habe einmal mit einer jungen Frau (26 Jahre alt) den Begriff „Zeit“ erarbeitet. Als ich sagte, dass sich die Erde dreht, auf der wir uns befinden, sah sie mit einem strahlenden Gesichtsausdruck hoch und sagte, dass sie sich plötzlich „Okay“ fühlte und ausgeglichener und verbundener damit, auf dieser Erde zu sein.

Ein ähnliches Erlebnis hatte ich mit einem jungen Mann, als er die Arbeit mit dem Begriff „Reihenfolge“ beendete. Er konnte selbst einem einfachen Ablauf von Schritten nicht folgen, etwa einem geschriebenen Rezept oder einer geschriebenen Notiz, wie er zum Supermarkt gehen, ein Teil kaufen und zurück nach Hause kommen sollte. Sein Gesichtsausdruck, als er den letzten Schritt zur Beherrschung von Reihenfolge machte, war reine Freude, Glück, Überraschung und Ruhe.

Ist Identitätsentwicklung erst einmal abgeschlossen, kommt die letzte Phase des Davis®-Programms, soziale Integration. Auch hier ist es fantastisch, das erwachende Bewusstsein davon mitzuerleben, wie Beziehungen funktionieren. Ein junger Mann sagte mir, „er brauchte das wirklich“, weil er immer völlig frustriert davon war, dass er etwas wissen sollte, was ihm aber vorher nicht erklärt worden war. Er entdeckte, dass das die „ungeschriebenen Gesetze“ sozialer Interaktion waren. Wir verbrachten eine wunderbare Zeit damit, solche „ungeschriebenen Gesetze“ zu finden und aufzuschreiben!


Eine neue Welt der Möglichkeiten

Menschen kommen zum Davis-Programm, weil sie Veränderung suchen. Eltern autistischer Kinder hoffen auf eine Veränderung der Art und Weise, wie ihr Kind sich in Gesellschaft von anderen benimmt und interagiert. Ältere autistische Personen, die selbständig kommen und nach Hilfe suchen, hoffen auf Veränderungen, die ihnen helfen, die Einschränkungen in ihrem Leben, die sie frustrieren oder unglücklich machen, zu überwinden.

Die Davis®-Methoden helfen, indem sie Werkzeuge bereitstellen, mit denen die Person ihre Aufmerksamkeitssteue-
rung selbst regulieren und überprüfen, Stress abbauen und das Energieniveau kontrollieren kann. Der Gebrauch dieser Werkzeuge verändert die Art und Weise, in der die Person ihre Umwelt wahrnimmt und darauf reagiert. Das Davis-Programm beinhaltet ein System von Lernkonzepten, die der Person eine erweiterte Wahrnehmung und Erkenntnis ihrer Welt und ihrer Rolle vermitteln. Dieses neue Verständnis hilft ihnen, ihr eigenes Leben zu regeln und mit anderen zu interagieren. Mit neuem Wissen und neuen Fähigkeiten ist die Möglichkeit für weitere Veränderungen eröffnet. In der Davis-Vorgehensweise versehen Wissen + Fertigkeit + Möglichkeit den Menschen mit Fähigkeit – aber es liegt bei der Person, die Begriffe Kontrolle und Verantwortung zu üben, welche erst die Veränderungen in ihrem Leben bewirken. Für jeden Einzelnen ist der Weg unterschiedlich, bestimmt von individuellen Zielen, Interessen und Talenten. 

Sobald meine Identität begann sich zu entwickeln und mein Erinnerungs-vermögen einsetzte, war mein größter Wunsch im Leben, ein realer Mensch zu werden. Ich konnte sehen, dass andere etwas waren, was ich nicht war. Meine wichtigste Aufgabe war von Anfang an, einen Weg zu finden, der es mir erlaubte ‚normal‘ zu sein oder wenigstens so zu erscheinen. Wenn ich meinen Weg durch dieses Chaos finden und eine ’Karte‘ für  meinesgleichen bereitstellen könnte, damit sie es mir gleichtun könnten, hätte meine Existenz einen Sinn. Der Davis-Autismus-Ansatz ist das Ergebnis meiner bestmöglich-
en Bemühungen, diese Karte zu liefern.“

--Ron Davis

Auszug aus der Übersetzung des Buches: “Autism and the Seeds of Change” von Abigail Marshall mit Ronald D. Davis, Übersetzung: Dr. Andrea Paluch, erscheint voraussichtlich Mai 2013.


Im deutschsprachigen Raum und Luxembourg gibt es inzwischen 8 ausgebildete Davis®-Autismus-Berater/innen, die Sie ebenfalls bei den Davis-Berater-Adressen finden, oder aber per Email erfragen können: info@dyslexia.de.


1 Kommentar:

  1. Es erstaunt mich, dass die Pädagogik, die doch als "wissenschaftlich" gelten möchte, selbst in Untersuchungen ignoriert, was für eine AUSSTRAHLUNG der Pädagoge hat, welche ATMOSPHÄRE er damit erzeugt und wie er selbst damit umgeht.
    Ich sehe die ErZIEHung der Pädagogik in den allermeisten Fällen als ErDRÜCKungsversuche. Ja, man steigert den Druck sogar noch, wenn es nicht klappt, und dass die Probleme darauf wachsen oder gar eskalieren schreibt man nicht eignem Versagen und eigener Wirkung zu sondern behauptet, dass die anderen nicht richtig mitgemacht hätten.
    In der neuen Ich-kann-Schule ist ErZIEHung wirklich etwas, was ZIEHT.
    Ich spüre den HUNGER der Geistes- und Seelenkräfte und gebe ihnen gezielt Stärkung zur freien Verfügung an dem Ort, wo ich sie erleben möchte.
    Bei meiner ersten Begegnung mit autistisch genannten Kindern in der psychiatrischen Jugendklinik, erlebte ich, wie sich die Kräfte & talente in den Kindern verändern, wenn sie eine Atmosphäre angeboten bekommen, in der sich jeder Mensch gern entwickeln würde: voller Achtung, Anerkennung, Bestätigung, Bestärkung, Zurückhaltung, Interesse an ihrer guten Entwicklung und zuverlässigen An-sie-Glaubens.
    Ich wollte damals wissen, was passiert, wenn ich nicht an Autismus glaube sondern an den Menschen und seine guten Kräfte. Der "Autismus" schmolz, möchte ich sagen, wie Schnee an der Sonne. Leider war das Erlebnis auf einen Tag begrenzt. Ich habe u.a. in der ZHeilpäd. und der Ich-kann-Schule darüber berichtet.
    Es freut mich natürlich, wenn ich von Therapeuten, ihrer genauen Wahrnehmkung und ihrem Zeugnis davon lese. Wenn wir sorgfältiger auf die Kräfte & Talente achten und wie es ihnen geht, werden Entwicklungswege offenbar.
    Ich wünsche uns allen gute Wege.
    Franz Josef Neffe

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